Lehmputz
Auswirkung von Lehmbaustoffen auf die Raumluftfeuchte
Nutzer bestätigen immer wieder, dass mit Lehmbaustoffen umhüllte Räume eine behagliche Raumluftfeuchte aufweisen. Eine wissenschaftliche Annäherung an dieses Phänomen ist in baustofflicher Hinsicht in den letzten Jahren bis ins Detail geglückt [Holl / Ziegert – 2002][1]. Schwieriger gestaltet sich, den Verlauf der Raumluftfeuchte unter dem Einfluss der raumhüllenden Bauteileigenschaften rechnerisch zu simulieren, um so beispielweise Klimaanlagen exakter dimensionieren oder die Gefahr von Schimmelpilzbildungen genauer einschätzen zu können. Genau hier liegt aber neben der reinen Behaglichkeit ein wesentlicher Effekt des hohen Feuchteausgleichvermögen von Lehmbaustoffen: die leidige Problematik, dass viele Bauwerke nur dann schadensfrei bleiben, wenn die Nutzer ein äußerst diszipliniertes Lüftungsverhalten an den Tag legen, kann durch hoch sorptionsaktive Wandmaterialien wesentlich entspannt werden. Der Baustoff Lehm erhöht damit die Fehlertoleranz unserer Bauwerke. Nachdem u.a. [Otto – 1995][2] den Einfluss des Sorptionsverhaltens von Oberflächenaufbauten erstmals anhand rechnerischer Simulationen als relevant erachtet hat, konnten jetzt mit der Untersuchung von [Eckermann et al – 2006][3] erstmals Lehmbaustoffe in ein Feuchtebilanzmodell für einen Musterraum einbezogen werden.
Ausgangslage
Eine alleinige Betrachtung der nachweispflichtigen Bauwerkseigenschaften Standsicherheit, Brand-, Wärme- und Schallschutz greift heute oft zu kurz, um bei Um- und Neubau von Gebäuden behagliche und der Gesundheit zuträgliche Wohn- und Arbeitsbereiche zu schaffen. So sind im Zuge der gestiegenen Anforderungen an den Wärmeschutz, die im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Bauens unbedingt zu begrüßen sind, die konvektiven Wärmeverluste durch Anstreben einer weitgehend luftdichten Gebäudehülle zu minimieren. Oftmals sind die dabei erzielten Luftwechselraten jedoch derart gering, dass die Schadstoffbelastung in Innenräumen durch die geringeren Verdünnungseffekte insgesamt zugenommen hat [BMVBW – 2001][4]. Ebenfalls zugenommen hat im Neubau und besonders im sanierten Altbau das Auftreten von Schimmelpilz [BMBS – 1995][5].
Mit der Verringerung des Luftwechsels steigt die Bedeutung der raumhüllenden Bauteile für die Qualität der Raumluft. Neben der anzustrebenden und durch Lehmbaustoffe problemlos umsetzbare Schadstofffreiheit der Raumhülle ist die Raumluftfeuchte und deren Regulierung durch die raumhüllenden Bauteilflächen von besonderer Bedeutung. Aus medizinischer Sicht gelten relative Luftfeuchten um 50 % als optimal und bis ca. 35 % als behaglich (Abb. 1), [Leudsen / Freymark – 1951][6]. Bei medizinischen Gutachten zu Atemwegserkrankungen werden in den meisten Fällen Raumluftfeuchten von nicht weniger als 40 % empfohlen; häufig mehr. Für Musikinstrumente und Kunstgüter soll die RLF in engen Grenzen um 50 % gehalten werden [Burmester / Eckermann – 1999][7].
Luftfeuchten bis zu 70 % gelten für den Menschen als behaglich. Höhere Luftfeuchten sind zwar nicht direkt gesundheitsschädlich, die Raumluft wird jedoch schnell als stickig empfunden. Problematisch ist die Begünstigung von Schimmelpilzwachstum. Allgemein wird derzeit davon ausgegangen, dass mit Schimmelpilzbildungen zu rechnen ist, wenn eine relative Luftfeuchte von 80 % in der Nähe von Bauteiloberflächen an 5 hintereinander folgenden Tagen für jeweils 12 Stunden erreicht wird [Richter et al – 1999][8], [Sedlbauer / Krus – 2003][9]. Je nach Wärmedurchgang der Bauteile liegt diese Bedingung häufig schon bei Raumluftfeuchten von 60 % vor. Bei starken Wärmebrücken müssen zur Schadensfreiheit sogar derartig niedrige Luftfeuchten eingehalten werden, dass sie für den Bewohner schon wieder unterhalb des Behaglichkeitsbereiches liegen. Eine paradoxe Situation, der nur mit einer baulichen Verbesserung begegnet werden kann, jedoch häufig auf die Nutzer abgeladen wird.
Der Bereich der für den Nutzer und die Bausubstanz optimale Luftfeuchte ist damit je nach thermischer Qualität der Gebäudehülle relativ schmal. Um Schwankungen der Raumluftfeuchte in einen ungünstigen Bereich zu vermeiden, sollten vor allem die oberflächennahen Wandbaustoffe in der Lage sein, die veränderlich wirkenden Einflüsse, wie Duschen, Kochen, Heizen etc., durch zwischenzeitliche Wasserdampfspeicherung abzupuffern. So kann überschüssige Feuchte zeitversetzt über die Raum- an die Außenluft abgegeben werden. Umgekehrt wird bei zu trockenem Raumklima kurzzeitig anfallende Feuchte im Raum gehalten. Diese als Sorptionsvermögen bezeichnete Materialeigenschaft ersetzt nicht die Lüftung, aber verbessert die hygrischen Bedingungen von Innenräumen vor allem bei geringem Luftwechsel.
Das Wasserdampfsorptionsvermögen von Lehmbaustoffen übertrifft das anderer Baustoffe zum Teil erheblich. Ihr Einsatz ist deshalb aus raumklimatischer Sicht besonders positiv. Man kann von einer gut ausgeprägten „passiven Klimatisierung“ sprechen, die die Anfälligkeit des Bauwerks gegen Abweichungen vom optimalen Nutzerverhalten herabsetzt und die Behaglichkeit wesentlich verbessert.
Neben den raumhüllenden Bauteilen können auch bestimmte Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände wie Schafwollteppiche, unbehandelte Holzmöbel und vor allem Bücher die Raumluftfeuchte ausgleichen. Da Bestückung und Qualität der Ausstattungsgegenstände jedoch stark differieren können und schwer erfassbar sind, erscheint ihre Berücksichtigung sehr fragwürdig.
Andere, die hygienischen Bedingungen und die Behaglichkeit in Räumen fördernde Kriterien wie z.B. die Bindung von Gerüchen und Schadstoffen, scheinen quasi im Schlepptau des starken Wasserdampfaustauschs bei Lehmbaustoffen mit geregelt zu werden. Nutzerberichte, nach denen die Luft in den Lehmräumen „frischer“ wirkt und frei von Gerüchen ist, sprechen hier eine sehr eindeutige Sprache. Wissenschaftliche Anhaltspunkte liegen wiederum in der Mineralogie der Lehmbaustoffe. Das sogenannte Kationenaustauschvermögen bestimmter Tonminerale wird u.a. bei der Klärung von belasteten Wässern genutzt. Dabei werden Schadstoffionen gegen harmlose Stoffe ausgetauscht. Bedingung ist die Lösung des Schadstoffes in Wasser. Ob diese Austauschprozesse auch schon durch die bei Sorptionsvorgängen infiltrierten Wasserdampfmoleküle anlaufen, ist wissenschaftlich zurzeit noch nicht hinreichend bestätigt.
Grundlagen der Luftfeuchtesorption von Baustoffen
Die Feuchtepufferung durch Baustoffe und Bauteile beruht auf dem Effekt, dass in Bezug zueinander stehende Materialien hinsichtlich ihrer Feuchte das Bestreben nach einem Konzentrationsausgleich besitzen. So stellt sich bei einer bestimmten Raumluftfeuchte in einem Material zeitlich verzögert eine gewisse Materialfeuchte ein, die sogenannte Ausgleichsfeuchte.
Bedingung für den o.g. Effekt der Luftfeuchtepufferung durch die oberflächennahen Baustoffe ist, dass die Luftfeuchte über Diffusionsvorgänge in diese Schichten überhaupt vordringen bzw. aus ihnen entweichen kann. Ein mit Lack behandelter Holzfußboden ist beispielsweise derart diffusionsbremsend abgeschirmt, dass seine Sorptionsfähigkeit für die Tagesschwankungen der Luftfeuchte quasi nicht mehr zur Verfügung steht. Auch an Wänden kann dieser Effekt auftreten. Die bei Lehmoberflächen oft angewendeten Kasein- und Silikatfarben reduzierten nach Untersuchungen der Autoren die Geschwindigkeit der Aufnahme auch bei vielfachen Auftrag nur um bis zu fünf Prozent; Lehmstreichputze oder Lehmfarben führen zu keiner Verringerung des Sorptionsverhaltens. Dagegen setzen vor allem die bei zahlreichen gängigen Innenwandfarben enthaltenen Polymerdispersionsanteile die ohnehin schon geringere Sorptionsgeschwindigkeit der üblicherweise eingesetzten kalk-, gips- und zementgebundenen Putze vor allem bei der Feuchteabgabe merklich herab (Abb. 2). Dieser Effekt verstärkt sich beim wiederholten Auftrag von Anstrichen.
|
|
Im Baustoff selbst erfolgt die Anlagerung der Raumluftfeuchte über die sogenannte Kapillarkondensation, d.h. Luftfeuchte kondensiert bzw. verdunstet an den Wandungen von Poren einer bestimmten Geometrie in Abhängigkeit vom Luftfeuchtegehalt, vorausgesetzt, dass die Porenräume untereinander verbunden sind und somit die Luftfeuchte innerhalb des Baustoffs transportiert werden kann. Die luftfeuchtebedingte Änderung der Materialfeuchte führt nicht dazu, dass die Bauteile feucht erscheinen oder sich feucht anfühlen – im Gegenteil, bei stark sorbierenden Materialien werden auch bei niedrigen Oberflächentemperaturen Kondensationsvorgänge vermieden. Dem Effekt der Kapillarkondensation sind aus technologischen und stofflichen Gründen gewisse Grenzen gesetzt, die in der anfänglich starken Sorption der zur Innendämmung verwandten Kalziumsilikatbaustoffe offensichtlich ausgereizt sind (Abb. 4). Lehmbaustoffe unterscheiden sich in Bezug ihrer Porenstruktur nicht signifikant von anderen mineralischen Putzen. Ihr zum Teil erheblich besseres Sorptionsverhalten ist auf einen zusätzlichen und mineralogisch bedingten Sorptionsanteil zurückzuführen. Hierbei wird die Luftfeuchte in der enorm feinen und zerklüfteten Kristallstruktur sogenannter quellfähiger Dreischichttonminerale zwischengespeichert (Abb. 2). Der Gehalt dieser besonders sorptionswirksamen Tonminerale ist von Lehm zu Lehm und somit von Lehmbaustoff zu Lehmbaustoff sehr unterschiedlich. Andere Tonminerale, wie z.B. das Zweischichtmineral Illit sind weit weniger wirksam. In der Untersuchung von [Holl / Ziegert - 2002][1] konnte der Zusammenhang vom Gehalt quellfähiger Dreischichttonminerale zur Sorptionsaktivität erstmals an unterschiedlichen am Markt verfügbaren Lehmputzen nachgewiesen werden. Danach haben Lehmputze, die keine oder nur geringe Anteile an diesen sorptionsaktiven Dreischichttonminerale aufweisen, „lediglich“ um etwa 40 % höhere Sorptionswerte als kalk- oder zementgebundene Putze und bleiben damit wesentlich unter der Möglichkeit nahezu 3-fache Sorptionswerte erreichen zu können (auch Abb. 4). In dieser Untersuchung hatte ausgerechnet der Lehmputz mit dem höchsten Tongehalt die schlechtesten Sorptionswerte unter den Lehmputzen; die Tonmineralfraktion bestand hier eben zu 98 % aus dem nur wenig aktiven Illit.
Im Rahmen der anerkannten natureplus Zertifizierung von Lehmputzen wird die Sorptionsfähigkeit als ein wesentliches Qualitätsmerkmal untersucht und im Zertifikat quantitativ vermerkt. Damit haben alle am Baubeteiligten die Gelegenheit zu überprüfen, ob bei dem vorliegenden Lehmbaustoff die von der Natur bereitgestellte Eigenschaft hinreichend genutzt wurde.
Dass mit Lehmbaustoffen umhüllte Räume eine vergleichsweise behaglichere Raumluftfeuchte aufweisen, als mit anderen Baustoffen umhüllte Räume, liegt also nicht wie oft vermutet an einem gänzlich anderem Porensystem, denn das ist in etwa gleich. Der Unterschied kann zusammenfassend folgenden Effekten zugeschrieben werden:
- einem indirekten: Lehmoberflächen werden allgemein nicht oder wenn, dann mit extrem diffusionsoffenen Farben gestrichen, während andere Oberflächenmaterialien in den meisten Fällen mit diffusionsbremsenden Farben gestrichen werden. Das Sorptionsvermögen dieser Oberflächenmaterialien kommt somit häufig nur gedämpft zum tragen; das der Lehmoberflächen quasi „ungebremst“.
- einem direkten: bei Lehmbaustoffen, die quellfähige Dreischichttonminerale aufweisen, wird Luftfeuchte in die Zwischenschichten dieser extrem feinen und zerklüfteteten Minerale eingelagert.
In Analogie zur Einlagerung in der Tonmineralstruktur findet bei Holz eine Anlagerung in der Zellstruktur statt. Über diesen Effekt erreichen unbehandelte sägeraue Holzoberflächen ähnliche Sorptionswerte wie Lehmputzoberflächen.
Messverfahren für die Luftfeuchtesorption von Baustoffen
Das Luftfeuchtesorptionsverhalten von Baustoffen lässt sich über die Masse das angelagerten bzw. abgegebenen Wasserdampfes messen. Der Baustoff wird bei steigender Luftfeuchte in dessen Umgebung schwerer und bei sinkender Luftfeuchte wieder leichter.
Derzeit existieren 2 vom Ansatz her grundverschiedene Verfahren um diesen Effekt zu messen.
Das klassische Verfahren ist das nach EN ISO 12571[10], Bestimmung der hygroskopischen Sorptionseigenschaften. Danach werden die Proben nach einer Trocknung bei 40 °C schrittweise ansteigenden Luftfeuchten bei einer gleichbleibenden Temperatur von 23 °C ausgesetzt. Nach Erreichen der jeweiligen Ausgleichsfeuchte kann der Anstieg der Materialfeuchte gemessen werden. Man erhält eine Absorptionskurve, deren Endwert bei einer relativen Luftfeuchte von 95 % liegt. Die Desorptionskurve wird durch anschließendes schrittweises Absenken der Luftfeuchte bis auf das Ausgangsniveau bestimmt. Das sich ergebende Kurvenpaar wird als Sorptionsisotherme bezeichnet. Bis die jeweiligen Ausgleichsfeuchten bei den einzelnen zu messenden Luftfeuchten erreicht sind, vergehen oft mehrere Tage, bei Holz mehrere Wochen. Da die Luftfeuchte in Räumen jedoch häufigen, meist zyklischen Schwankungen unterworfen ist, spiegelt dieses Messverfahren das ständige Wechselspiel zwischen Raum und Baustoff kaum wieder. Es dient der Information welche Materialfeuchte sich unter bestimmten durchschnittlichen Umweltbedingungen langfristig einstellt, was z.B. für den Holzschutz von nicht unwesentlicher Bedeutung ist, jedoch aus raumklimatischer Sicht nur bedingt eine verwertbare Aussage liefert. Ein Vorzug des Verfahrens nach EN ISO 12571 ist, dass das Sorptionsverhalten in einem breiten Spektrum möglicher Luftfeuchten erfasst wird.
Ein anderes und für raumklimatische Betrachtungen offensichtlich geeigneteres Verfahren orientiert sich an [Minke - 2001][11]. Danach werden die Proben nach Einstellung der Ausgleichsfeuchte bei 20 °C und 50 % RLF einem Sprung der relativen Luftfeuchte auf 80 % RLF ausgesetzt und die Feuchteaufnahme stündlich gemessen. Um auch ein Bild über die Feuchteabgabe zu erhalten wurde ergänzend zu dem Ablauf von Minke die Luftfeuchte nach 12 Stunden wieder auf 50 % reduziert und auf diesem Niveau ebenfalls 12 Stunden belassen. Das in Anlehnung an Minke durchgeführte Verfahren hat den Vorteil, dass die Sorptionsgeschwindigkeit erfasst wird. In der Realität ist das kurzfristige Reagieren des Baustoffes auf eine Feuchteänderung für das Raumklima von größerer Bedeutung als die Gesamtkapazität bis zur Massekonstanz. Außerdem liefert das Verfahren den relevanten Vergleich, wie viel Feuchte pro Fläche sorbiert werden kann. Dahingegen vergleicht das Verfahren nach EN ISO 12571 auf die Masse des Baustoffs bezogen.
Da verschiedene Putze jedoch auch nicht unwesentlich differierende Dichten aufweisen, ist ein direkter Vergleich der Sorption pro Fläche erst durch Umrechnung der Werte möglich.
Ergebnisse der Messungen am Baustoff – Aufbauten und Schichtdicken
Abb. 3: Mittlere Wasserdampfsorption der untersuchten Lehmputze im Vergleich zu herkömmlichen Putzen (nach EN ISO 12571). | |
Abb. 4: Das Diagramm zeigt die unterschiedliche Reaktion von verschiedenen Putzen auf Schwankungen der relativen Feuchte (Sorptionsvermögen). Im Versuch wurde die relative Feuchte bei gleichbleibender Temperatur kurzfristig von 50 auf 80 % RLF erhöht (Feuchtesprung) und nach 12 Stunden wieder auf 50 % abgesenkt. | |
Abb. 5: Das Diagramm zeigt zusammenfassend den Vergleich des Sorptionsverhaltens raumseitiger Schichtenaufbauten aus konventionellen Baustoffen und einiger im Lehmbau üblichen Aufbauten. Wie bei dem unter Abbildung 4 abgebildeten Versuch wurde die relative Feuchte bei gleichbleibender Temperatur kurzfristig von 50 auf 80 % RLF erhöht (Feuchtesprung) und nach 12 Stunden wieder auf 50 % abgesenkt [Ziegert – 2003][12]. | |
Die Ergebnisse der Messung von Putzen nach EN ISO 12571 sind ausführlich in [Holl / Ziegert – 2002][1] dargestellt. Zusammenfassend sei hier das in Abbildung 3 übernommene Diagramm gezeigt, indem die damals untersuchten Produktgruppen „Lehmputze“ sowie „Kalk-, Gips- und Zementputze“ gemittelt dargestellt sind. Danach ist bei Lehmputzen im relevanten Bereich von 40-70 % RLF bei steigenden Luftfeuchten ein doppelt so starker Anstieg der Materialfeuchte zu verzeichnen, wie bei herkömmlichen Putzen. Daraus lässt sich hinsichtlich der Absolutwerte eine doppelt so hohe Sorptionsaktivität ableiten. Interessant ist, dass die herkömmlichen Putze ab 80 % RLF einen sehr starken Feuchtezuwachs aufweisen, so dass bei 95 % RLF ähnliche Materialfeuchten wie bei den Lehmputzen erreicht werden. Da Luftfeuchten über 80 % in Innenräumen jedoch grundsätzlich vermieden werden sollten, kommt die partielle Sorptionsaktivität dieser Materialien nicht zum Tragen. Vergleicht man 1,5 cm dicke Putzschichten nach dem an Minke angelehnten Verfahren erhält man die in Abbildung 4 ersichtlichen Kurven. Demnach weisen Lehmputze im Mittel ein doppelt so starkes Sorptionsvermögen auf, wie kalk- oder zementgebundene Putze.
Innerhalb der Lehmputze gibt es starke Unterschiede. Wie oben bereits begründet haben Lehmputze, die keine oder nur geringe Anteile an sorptionsaktiven Dreischichttonminerale aufweisen „lediglich“ um etwa 40 % höhere Sorptionswerte als kalk- oder zementgebundene Putze. Der am stärksten sorbierende Lehmputz erreicht jedoch nahezu 3-fache Sorptionswerte.
Ebenso gute Werte weisen übrigens auch die aktuell von natureplus zertifizierten Lehmputze auf. Von den Nicht-Lehmbaustoffen weist die Kalciumsilikat-Platte eine hohe, mit Lehmputzen vergleichbare Anfangssorption auf. Wie oben bereits erwähnt, ist bei diesem Baustoff der Porenraum im Hinblick auf eine hohe Dämmung und Sorption optimiert. Es zeigt sich aber auch, dass die Kurve schnell abfällt. Die Möglichkeit über den Porenraum längerfristig eine hohe Sorption zu erreichen ist eben begrenzt.
In Gebäuden werden Putze und Bauplatten meistens tapeziert und gestrichen. Deshalb wurde auch untersucht, welches Sorptionsverhalten eine immerhin 60 %-ige Verbesserung des Sorptionsvermögens gegenüber einer gespachtelten Gipskartonplatte bewirkt.
Dünne Lehmputzschichten bzw. lediglich filmbildende Lehmanstriche auf einem beliebigen Untergrund sind jedoch in ihrer zeitlichen Wirkung beschränkt. Abbildung 6 zeigt, dass die puffernde Wirkung eines Lehmfeinputzes isoliert Schichtenaufbauten aus konventionellen Baustoffen und einiger im Lehmbau üblichen Aufbauten aufweisen (Abb. 5), [Ziegert – 2003][12]. Sämtliche auf Lehm basierende Aufbauten verfügen danach gegenüber den meisten konventionellen Aufbauten über ein mehr als 3-faches Sorptionsvermögen. Dass sich die Schichtdicke der Lehm-Aufbauten in den Ergebnissen nicht wesentlich wiederspiegelt, liegt an dem Umstand, dass durch die im Versuch simulierten Tagesschwankungen der Raumluftfeuchte lediglich die oberen 1,5 - 2 cm einer Wand aktiviert werden. Interessant ist, dass der gemessene 3 mm dünne Lehmputz auf einer Gipskartonplatte betrachtet nur etwa eine Stunde anhält; die einer lediglich filmbildenden Lehmfarbe entsprechend weniger. Die üblichen täglichen Nutzungszyklen von Innenräumen und die damit verbundene meist einseitige Beeinflussung der Raumluftfeuchte dauern jedoch in der Regel zwischen 6 und 12 Stunden. Eine leistungsfähige Pufferung über diese Zeiträume wird durch Schichtdicken von 1,5 Zentimetern und mehr erreicht. Sollen Schwankungen von Wetterperioden oder gar jahreszeitliche Schwankungen ausgeglichen werden, reichen Putzschichtdicken nicht aus.
In diesem Zusammenhang sind die durch Lüftungswärmetauscher belüftete bzw. beheizte Gebäude zu nennen, bei denen der vorgenommene Luftwechsel wiederum oft so hoch ist, dass sich im Winter durch die permanente Zuführung von trockener Außenluft bei normaler Nutzung extrem niedrige Raumluftfeuchten einstellen [Flückinger – 2005][13]. Lehmputze können zwar durch die schnelle Aufnahme kurzzeitig produzierter Feuchte zur Entschärfung der Problematik beitragen; grundsätzlich sind jedoch auch sie in diesen Fällen überfordert, da sie die Luftfeuchte „lediglich“ zwischenspeichern aber eben nicht produzieren können. Hier können dickere Lehmbauteile wie Lehmstein- oder Stampflehmwände ihre volle Wirkung entfalten. Die Erwartung, dass unter diesen Umständen die Raumluftfeuchte bei nahezu konstanten 50 % bleibt, ist jedoch überzogen.
Die Luftfeuchte im Raum unter Einbeziehung der Sorptionseigenschaften
Abb. 6: Das Diagramm zeigt den Einfluss der Dicke auf die Wasserdampfabsorption eines Lehmputzes nach kurzfristiger Erhöhung der relativen Luftfeuchte von 50 auf 80 % [Ziegert – 2003][12]. | |
Für eine Annäherung an die raumklimatischen Auswirkungen der oben beschriebenen Bauteileigenschaften wurde eine vereinfachende Feuchtebilanzrechnung mit den Einflussparametern Raum, Feuchteproduktion infolge unterschiedlicher Nutzung, Lüftung und dem Sorptionsverhalten der raumhüllenden Bauteile aufgestellt [Eckermann et al – 2006][3]. Das Berechnungsmodell gibt die Feuchteverhältnisse im Winterfall wieder.
Der quadratische Musterraum hat 16 m² Grundfläche und 3 Meter Deckenhöhe. Unter Abzug der Öffnungen stehen ca. 60 m² Wandfläche zum Ausgleich der Raumluftfeuchte zur Verfügung.
Die Fläche des Fußbodens wird auf der sicheren Seite liegend als nicht für den Feuchteausgleich zur Verfügung stehend betrachtet, was für lackierte Holzfußböden oder Fußbodenfliesen auch quasi uneingeschränkt zutrifft. Die Annahmen der Feuchteproduktion infolge unterschiedlicher Nutzung wie Schlaf-, Wohnraum oder Bad richten sich u.a. nach [Richter et al – 1999][8]. Die Luftwechsel reichen von im sanierten Altbau sowie im Neubau anzutreffenden 0,1 pro Stunde bis zu 0,8 im unsanierten Altbau.
Die angesetzten Klimabedingungen für die Außenluft unterscheiden zwischen kalten (0 °C, 85 RLF) sowie milden (10 °C, 85 RLF) Wintertagen.
Die in der Untersuchung gegenübergestellten Oberflächenaufbauten entsprechen den häufig im konventionellen Wohnungsbau bzw. den im Lehmbau eingesetzten Materialien. Für die Einbeziehung des Sorptionsverhaltens wurden die zeitabhängig gemessenen und oben ausführlich diskutierten Sorptionswerte nach [Holl / Ziegert – 2002][1] und [Ziegert – 2003][12] zugrundegelegt.
Da sich in den raumklimatischen Berechnungen vielfach niedrigere Luftfeuchten als die in der Sorptionsmessung zugrundegelegten 80 % einstellen, wurden zum Teil reduzierte Sorptionswerte für die Berechnung verwendet.
Abb. 7 - 9: Verlauf der Raumluftfeuchte unter dem Einfluss unterschiedlicher Wandoberflächen, Luftwechsel, Außenklima und Nutzungsintensität [Eckermann et al – 2006][3]. | |
Die Ergebnisse ausgewählter Einflusskombinationen sind aus den Abbildungen 7 - 9 ersichtlich. Als Vergleichskurve dient jeweils der ohne Einbeziehung der Sorptionsvorgänge ermittelte Raumluftfeuchteverlauf. Dieser Kurvenverlauf würde bei einem diffusionsdichten bzw. sorptionsinaktiven Material auftreten, wie z.B. bei Glas.
Die Diagramme sind ein Auszug aus [Eckermann et al – 2006][3]. Sie stellen prägnante Situationen dar und spiegeln folgende Zusammenhänge wieder:
- Die Sorptionsfähigkeit der Wandbeschichtungen und Wandbaustoffe hat wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Raumluftfeuchte. Der Einfluss ist um so größer, je geringer die Luftwechselrate, je milder das winterliche Außenklima und je größer die Feuchteproduktion im Raum.
- Bei hohen Luftwechselraten tritt der Einfluss der Sorptionsfähigkeit von Wandbeschichtungen in den Hintergrund, der Einfluss der Lüftung auf die Raumluftfeuchte wird dominant.
- Den Lehmaufbauten kann attestiert werden, dass bei einer normalen Feuchteproduktion im Raum und den heute üblichen niedrigen Luftwechselraten ein behagliches und im Sinne des Bautenschutzes unkritisches Raumklima vorliegt.
Zusammenfassung
Lehmbaustoffe weisen gegenüber anderen mineralischen Baustoffen ein deutlich höheres Luftfeuchtesorptionsvermögen auf. Auch die Frage, ob die einen Raum umhüllenden Flächen einen signifikanten Einfluss auf das Raumklima haben können, kann als positiv beantwortet gelten.
Die Verwendung hochsorptiver Wandoberflächen kann und soll die Lüftung eines Raumes nicht ersetzen, jedoch ist ein derartiger Feuchtespeicher bei wechselnden Feuchtebelastungen in Innenräumen eine effektive Ergänzung zur Raumlüftung. Im Gegensatz zur Raumlüftung, die ein bewusstes Handeln oder automatisierte Technik voraussetzt, ist die Pufferwirkung der Raumschale nutzer- und technikunabhängig.
Die zeitliche Toleranz zur Ablüftung der Raumluftfeuchte wird wesentlich verbessert, was letztlich die Nutzbarkeit von Räumen im Neubau oder energetisch optimierten Altbau erleichtert.
Den Lehmaufbauten kann attestiert werden, dass sie bei einer normalen Feuchteproduktion im Raum und den heute üblichen niedrigen Luftwechselraten maßgeblich zu einem behaglichen und im Sinne des Bautenschutzes unkritischen Raumklima beitragen können.
- Wulf Eckermann
Inhaber BAUKLIMA Ingenieurbüro in Potsdam Schwerpunkte: Bauphysikalische und bauklimatische Leistungen im Baubestand Untersuchung, Schadensanalyse und Planung Lehrbeauftragter FH Potsdam, Fachbuchautor
- Dr.-Ing. Christof Ziegert
Mitinhaber Büro ZIEGERT ROSWAG SEILER Architekten und Ingenieure Schwerpunkte: Neubau und Sanierung von Massivlehmbauten sowie Entwicklung und Prüfung von Lehmbaustoffen Promotion im Jahr 2002 zu Schäden und Sanierung im Historischen Massivlehmbau Lehrbeauftragter an der TU Berlin und FH Potsdam, Fachbuchautor
Literatur
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 H. G. Holl, C. Ziegert: Unterschiede im Sorptionsverhalten von Werktrockenmörteln in: KirchBauhof, Moderner Lehmbau 2002, Stuttgart 2002
- ↑ Otto, Frank: Einfluß von Sorptionsvorgängen auf die Raumluftfeuchte – Entwicklung von Kenngrößen zur Beschreibung des hygrischen Verhaltens von Räumen. Dissertation an der GH Kassel, Kassel 1995
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Eckermann, W., Röhlen, U., Sawitzki, R., Ziegert, C.: Beurteilung der praktischen Relevanz des Sorptionsverhaltens unterschiedlicher Wandoberflächen für das Raumklima. Potsdam 2006, unveröffentlichter Forschungsbericht
- ↑ BMVBW : Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.): Gewährleistung einer guten Raumluftqualität bei weiterer Senkung der Lüftungswärmeverluste, Endbericht zum Forschungsprojekt (RS II 4 - 641-97.118), Forschungen, Heft 105, Bonn, 2001
- ↑ BMBS : Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Dritter Bericht über Schäden an Gebäuden. Bonn 1995
- ↑ 6,0 6,1 Leudsen, Freymark: Das Behaglichkeitsfeld. Der Gesundheitsingenieur, Nr. 72, 1951
- ↑ Burmester, A., Eckermann, W.: Sollwerte für relative Feuchte und Temperatur am Kunstobjekt. In: Raumklima in Museen. Informationschrift des Fachinstitutes Gebäude-Klima e.V., Bietigheim-Bissingen 1999
- ↑ 8,0 8,1 Richter, W., Hartmann, T., Kremonke, A., Reichel, D.: Gewährleistung einer guten Raumluftqualität bei weiterer Senkung der Lüftungswärmeverluste. Ressortforschungsbericht RS II – 6741 – 97.118 des Instituts für Thermodynamik und technische Gebäudeausrüstung der TU Dresden für das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dresden 1999
- ↑ Sedlbauer, K., Krus, M.: Schimmelpilze in Gebäuden – biohygrothermische Berechnung und Gegenmaßnahmen. In: Cziesielski, E.: Bauphysik Kalender 2003, Berlin 2003
- ↑ EN ISO 12571: Bestimmung der hygroskopischen Sorptionseigenschaften. März 2000
- ↑ Minke, G.: Lehmbau-Handbuch. Staufen 2001
- ↑ 12,0 12,1 12,2 12,3 Ziegert, C.: In Balance – Zum Sorptionsverhalten von Lehmbaustoffen. In: db deutsche bauzeitung 2/2003, Stuttgart 2003
- ↑ Flückinger, T.: Lehmbaustoffe als raumklimatisch unterstützende Maßnahme gegen die winterliche Luftaustrocknung in Bauten mit Lüftungsanlagen. Abschlussarbeit im Fachkurs Baubiologie und Bauökologie SIB, 2005, unveröffentlicht
- Auswirkung von Lehmbaustoffen auf die Raumluftfeuchte von Wulf Eckermann und Christof Ziegert
Stand 6-2006