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Version vom 22. Februar 2012, 13:22 Uhr
Auswirkung von Lehmbaustoffen auf die Raumluftfeuchte
Vorwort
Dass mit Lehmbaustoffen umhüllte Räume eine behagliche Raumluftfeuchte aufweisen, wird von den Nutzern immer wieder bestätigt. Eine wissenschaftliche Annäherung an dieses Phänomen ist in baustofflicher Hinsicht in den letzten Jahren bis ins Detail geglückt [Holl / Ziegert – 2002]. Schwieriger gestaltet sich, den Verlauf der Raumluftfeuchte unter dem Einfluss der raumhüllenden Bauteileigenschaften rechnerisch zu simulieren, um so beispielweise Klimaanlagen exakter dimensionieren oder die Gefahr von Schimmelpilzbildungen genauer einschätzen zu können. Genau hier liegt aber neben der reinen Behaglichkeit ein wesentlicher Effekt des hohen Feuchteausgleichvermögen von Lehmbaustoffen: die leidige Problematik, dass viele Bauwerke nur dann schadensfrei bleiben, wenn die Nutzer ein äußerst diszipliniertes Lüftungsverhalten an den Tag legen, kann durch hoch sorptionsaktive Wandmaterialien wesentlich entspannt werden. Der Baustoff Lehm erhöht damit die Fehlertoleranz unserer Bauwerke. Nachdem u.a. [Otto – 1995] den Einfluss des Sorptionsverhaltens von Oberflächenaufbauten erstmals anhand rechnerischer Simulationen als relevant erachtet hat, konnten jetzt mit der Untersuchung von [Eckermann et al – 2006] erstmals Lehmbaustoffe in ein Feuchtebilanzmodell für einen Musterraum einbezogen werden.
Einleitung
Eine alleinige Betrachtung der nachweispflichtigen Bauwerkseigenschaften Standsicherheit, Brand-, Wärme- und Schallschutz greift heute oft zu kurz, um bei Um- und Neubau von Gebäuden behagliche und der Gesundheit zuträgliche Wohn- und Arbeitsbereiche zu schaffen. So sind im Zuge der gestiegenen Anforderungen an den Wärmeschutz, die im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Bauens unbedingt zu begrüßen sind, die konvektiven Wärmeverluste durch Anstreben einer weitgehend luftdichten Gebäudehülle zu minimieren. Oftmals sind die dabei erzielten Luftwechselraten
jedoch derart gering, dass die Schadstoffbelastung in Innenräumen durch die geringeren Verdünnungseffekte insgesamt zugenommen hat [ BMVBW – 2001]. Ebenfalls zugenommen hat im Neubau und besonders im sanierten Altbau das Auftreten von Schimmelpilz [ BMBS – 1995].
Mit der Verringerung des Luftwechsels steigt die Bedeutung der raumhüllenden Bauteile für die Qualität der Raumluft. Neben der anzustrebenden und durch
Lehmbaustoffe problemlos umsetzbare Schadstofffreiheit der Raumhülle ist die Raumluftfeuchte und deren Regulierung durch die raumhüllenden Bauteilflächen
von besonderer Bedeutung. Aus medizinischer Sicht gelten relative Luftfeuchten um 50 % als optimal und bis ca. 35 % als behaglich (Abb. 1), [Leudsen / Freymark
– 1951]. Bei medizinischen Gutachten zu Atemwegserkrankungen werden in den meisten Fällen Raumluftfeuchten von nicht weniger als 40 % empfohlen; häufig
mehr. Für Musikinstrumente und Kunstgüter soll die RLF in engen Grenzen um 50 % gehalten werden [Burmester / Eckermann – 1999].
Luftfeuchten bis zu 70% gelten für den Menschen als behaglich. Höhere Luftfeuchten sind zwar nicht direkt gesundheitsschädlich, die Raumluft wird jedoch schnell als stickig empfunden. Problematisch ist die Begünstigung von Schimmelpilzwachstum. Allgemein wird derzeit davon ausgegangen, dass mit Schimmelpilzbildungen zu rechnen ist, wenn eine relative Luftfeuchte von 80% in der Nähe von Bauteiloberflächen an 5 hintereinander folgenden Tagen für jeweils 12 Stunden erreicht wird [Richter et al – 1999], [Sedlbauer / Krus – 2003]. Je nach Wärmedurchgang der Bauteile liegt diese Bedingung häufi g schon bei Raumluftfeuchten von 60 % vor. Bei starken Wärmebrücken müssen zur Schadensfreiheit sogar derartig niedrige Luftfeuchten eingehalten werden, dass sie für den Bewohner schon wieder unterhalb des Behaglichkeitsbereiches liegen. Eine paradoxe Situation, der nur mit einer baulichen Verbesserung begegnet werden kann, jedoch häufig auf die Nutzer abgeladen wird.
Der Bereich der für den Nutzer und die Bausubstanz optimale Luftfeuchte ist damit je nach thermischer Qualität der Gebäudehülle relativ schmal. Um Schwankungen der Raumluftfeuchte in einen ungünstigen Bereich zu vermeiden, sollten vor allem die oberflächennahen Wandbaustoffe in der Lage sein, die veränderlich wirkenden Einflüsse, wie Duschen, Kochen, Heizen etc., durch zwischenzeitliche Wasserdampfspeicherung abzupuffern. So kann überschüssige Feuchte zeitversetzt über die Raum- an die Außenluft abgegeben werden. Umgekehrt wird bei zu trockenem Raumklima kurzzeitig anfallende Feuchte im Raum gehalten. Diese als Sorptionsvermögen bezeichnete Materialeigenschaft ersetzt nicht die Lüftung, aber verbessert die hygrischen Bedingungen von Innenräumen vor allem bei geringem Luftwechsel.
Das Wasserdampfsorptionsvermögen von Lehmbaustoffen übertrifft das anderer Baustoffe zum Teil erheblich. Ihr Einsatz ist deshalb aus raumklimatischer Sicht besonders positiv. Man kann von einer gut ausgeprägten „passiven Klimatisierung“ sprechen, die die Anfälligkeit des Bauwerks gegen Abweichungen vom optimalen Nutzerverhalten herabsetzt und die Behaglichkeit wesentlich verbessert.
Neben den raumhüllenden Bauteilen können auch bestimmte Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände wie Schafwollteppiche, unbehandelte Holzmöbel und vor allem Bücher die Raumluftfeuchte ausgleichen. Da Bestückung und Qualität der Ausstattungsgegenstände jedoch stark differieren können und schwer erfassbar sind, erscheint ihre Berücksichtigung sehr fragwürdig.
Andere, die hygienischen Bedingungen und die Behaglichkeit in Räumen fördernde Kriterien wie z.B. die Bindung von Gerüchen und Schadstoffen, scheinen quasi im Schlepptau des starken Wasserdampfaustauschs bei Lehmbaustoffen mit geregelt zu werden. Nutzerberichte, nach denen die Luft in den Lehmräumen „frischer“ wirkt und frei von Gerüchen ist, sprechen hier eine sehr eindeutige Sprache. Wissenschaftliche Anhaltspunkte liegen wiederum in der Mineralogie der Lehmbaustoffe. Das sogenannte Kationenaustauschvermögen bestimmter Tonminerale wird u.a. bei der Klärung von belasteten Wässern genutzt. Dabei werden Schadstoffionen gegen harmlose Stoffe ausgetauscht. Bedingung ist die Lösung des Schadstoffes in Wasser. Ob diese Austauschprozesse auch schon durch die bei Sorptionsvorgängen infiltrierten Wasserdampfmoleküle anlaufen, ist wissenschaftlich zurzeit noch nicht hinreichend bestätigt.
Grundlagen der Luftfeuchtesorption von Baustoffen
Die Feuchtepufferung durch Baustoffe und Bauteile beruht auf dem Effekt, dass in Bezug zueinander stehende Materialien hinsichtlich ihrer Feuchte das Bestreben nach einem Konzentrationsausgleich besitzen. So stellt sich bei einer bestimmten Raumluftfeuchte in einem Material zeitlich verzögert eine gewisse Materialfeuchte ein, die sogenannte Ausgleichsfeuchte.
Bedingung für den o.g. Effekt der Luftfeuchtepufferung durch die oberflächennahen Baustoffe ist, dass die Luftfeuchte über Diffusionsvorgänge in diese Schichten überhaupt vordringen bzw. aus ihnen entweichen kann. Ein mit Lack behandelter Holzfußboden ist beispielsweise derart diffusionsbremsend abgeschirmt, dass seine Sorptionsfähigkeit für die Tagesschwankungen der Luftfeuchte quasi nicht mehr zur Verfügung steht. Auch an Wänden kann dieser Effekt auftreten. Die bei Lehmoberflächen oft angewendeten Kasein- und Silikatfarben reduzierten nach Untersuchungen der Autoren die Geschwindigkeit der Aufnahme auch bei vielfachen Auftrag nur um bis zu fünf Prozent; Lehmstreichputze oder Lehmfarben führen zu keiner Verringerung des Sorptionsverhaltens. Dagegen setzen vor allem die bei zahlreichen gängigen Innenwandfarben enthaltenen Polymerdispersionsanteile die ohnehin schon geringere Sorptionsgeschwindigkeit der üblicherweise eingesetzten kalk-, gipsund zementgebundenen Putze vor allem bei der Feuchteabgabe merklich herab (Abb. 2). Dieser Effekt verstärkt sich beim wiederholten Auftrag von Anstrichen.
Im Baustoff selbst erfolgt die Anlagerung der Raumluftfeuchte über die sogenannte Kapillarkondensation, d.h. Luftfeuchte kondensiert bzw. verdunstet an den Wandungen von Poren einer bestimmten Geometrie in Abhängigkeit vom Luftfeuchtegehalt, vorausgesetzt, dass die Porenräume untereinander verbunden sind und somit die Luftfeuchte innerhalb des Baustoffs transportiert werden kann. Die luftfeuchtebedingte Änderung der Materialfeuchte führt nicht dazu, dass die Bauteile feucht erscheinen oder sich feucht anfühlen – im Gegenteil, bei stark sorbierenden Materialien werden auch bei niedrigen Oberflächentemperaturen Kondensationsvorgänge vermieden. Dem Effekt der Kapillarkondensation sind aus technologischen und stofflichen Gründen gewisse Grenzen gesetzt, die in der anfänglich starken Sorption der zur Innendämmung verwandten Kalziumsilikatbaustoffe offensichtlich ausgereizt sind (Abb. 4). Lehmbaustoffe unterscheiden sich in Bezug ihrer Porenstruktur nicht signifikant von anderen mineralischen Putzen. Ihr zum Teil erheblich besseres Sorptionsverhalten ist auf einen zusätzlichen und mineralogisch bedingten Sorptionsanteil zurückzuführen. Hierbei wird die Luftfeuchte in der enorm feinen und zerklüfteten Kristallstruktur sogenannter quellfähiger Dreischichttonminerale zwischengespeichert (Abb. 2). Der Gehalt dieser besonders sorptionswirksamen Tonminerale ist von Lehm zu Lehm und somit von Lehmbaustoff zu Lehmbaustoff sehr unterschiedlich. Andere Tonminerale, wie z.B. das Zweischichtmineral Illit sind weit weniger wirksam. In der Untersuchung von [Holl / Ziegert – 2002] konnte der Zusammenhang vom Gehalt quellfähiger Dreischichttonminerale zur Sorptionsaktivität erstmals an unterschiedlichen am Markt verfügbaren Lehmputzen nachgewiesen werden. Danach haben Lehmputze, die keine oder nur geringe Anteile an diesen sorptionsaktiven Dreischichttonminerale aufweisen, „lediglich“ um etwa 40% höhere Sorptionswerte als kalk- oder zementgebundene Putze und bleiben damit wesentlich unter der Möglichkeit nahezu 3-fache Sorptionswerte erreichen zu können (auch Abb. 4). In dieser Untersuchung hatte ausgerechnet der Lehmputz mit dem höchsten Tongehalt die schlechtesten Sorptionswerte unter den Lehmputzen; die Tonmineralfraktion bestand hier eben zu 98% aus dem nur wenig aktiven Illit.
Im Rahmen der anerkannten NaturePlus Zertifizierung von Lehmputzen wird die Sorptionsfähigkeit als ein wesentliches Qualitätsmerkmal untersucht und im Zertifikat quantitativ vermerkt. Damit haben alle am Baubeteiligten die Gelegenheit zu überprüfen, ob bei dem vorliegenden Lehmbaustoff die von der Natur bereitgestellte Eigenschaft hinreichend genutzt wurde.
Dass mit Lehmbaustoffen umhüllte Räume eine vergleichsweise behaglichere Raumluftfeuchte aufweisen, als mit anderen Baustoffen umhüllte Räume, liegt also nicht wie oft vermutet an einem gänzlich anderem Porensystem, denn das ist in etwa gleich. Der Unterschied kann zusammenfassend folgenden Effekten zugeschrieben werden:
- einem indirekten: Lehmoberflächen werden allgemein nicht oder wenn, dann mit extrem diffusionsoffenen Farben gestrichen, während andere Oberflächenmaterialien in den meisten Fällen mit diffusionsbremsenden Farben gestrichen werden. Das Sorptionsvermögen dieser Oberflächenmaterialien kommt somit häufig nur gedämpft zum tragen; das der Lehmoberflächen quasi „ungebremst“.
- einem direkten: bei Lehmbaustoffen, die quellfähige Dreischichttonminerale aufweisen, wird Luftfeuchte in die Zwischenschichten dieser extrem feinen und zerklüfteteten Minerale eingelagert.
In Analogie zur Einlagerung in der Tonmineralstruktur findet bei Holz eine Anlagerung in der Zellstruktur statt. Über diesen Effekt erreichen unbehandelte sägeraue Holzoberflächen ähnliche Sorptionswerte wie Lehmputzoberflächen.